Katharina Wieners hat schon einiges hinter sich. Ihre Nieren versagten, da war sie 13 Jahre alt. Wenn ihr Vater sie nicht am ersten Weihnachtstag 2013 ins Krankenhaus gebracht hätte, wäre sie vermutlich gestorben. Heute lebt sie mit einem Spenderorgan. Wir haben sie in Bochum besucht und über ihre „Nierengeschichte“ gesprochen.
Lebensritter: Frau Wieners, Sie lebten eine relative normale Kindheit, doch schlagartig hatten Sie gesundheitliche Probleme. Wann haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Katharina Wieners: Das war Ende 2013. Da ging es mir innerhalb von wenigen Wochen immer schlechter. Ich war schon nach kürzester Zeit außer Puste: Treppensteigen ging gar nicht, nach drei bis vier Stufen musste ich Pause machen, wenn ich zum Bus gelaufen bin, musste ich nach ein paar Metern stehen bleiben. Ich habe im Bett gelegen und keine Luft bekommen. Dazu Appetitlosigkeit. Ich bin zum Arzt, der meinte, ich hätte einen Infekt. Weihnachten ging es mir so schlecht, dass mein Vater mit mir mitten in der Nacht am 25. Dezember nach Bochum in die Notaufnahme der Kinderklinik gefahren ist. Mein Körper war schon so vergiftet, der Arzt hat gesagt, wäre ich einen Tag später gekommen, dann … Es war schon sehr grenzwertig. Ich wurde dann mit dem Notarzt nach Essen ins Uniklinikum geschickt, weil die Klinik auf solche Fälle spezialisiert ist. Tja, und da wurde dann das Nierenversagen festgestellt. Mir wurde ein Beatmungsschlauch eingesetzt, weil ich keine Luft mehr bekommen habe. Es wurde ein Katheder gelegt und ich erhielt meine erste Dialyse. Damit hatte ich die Dialyse in meinem Leben!
Lebensritter: Wie lange waren Sie im Krankenhaus?
Katharina Wieners: Ich war vier oder fünf Wochen im Krankenhaus – über Weihnachten, Silvester, Neujahr bis Ende Januar. Das war für mich als 13-jähriges Kind sehr schlimm: ohne die Familie Weihnachten und Silvester zu feiern, allein ins neue Jahr zu starten. Natürlich waren meine Eltern Weihnachten da und ich habe auch Geschenke bekommen, aber das ist doch etwas anderes. Ich lag erst auf der Intensivstation, wurde nach ein paar Tagen aber auf die normale Station verlegt. Dann durften mich auch meine Freunde besuchen.
Lebensritter: Hatten Sie eigentlich Schmerzen?
Katharina Wieners: Nein. Es ging mir auch schnell besser: Durch die Dialyse hatte ich keine Schwierigkeiten mehr mit dem Atmen und beim Laufen. Ende Januar wurde ich dann entlassen und von da an hieß es: dreimal die Woche für vier bis fünf Stunden Dialyse. Ein Jahr und neun Monate lang – dann kam der Anruf. [Anm. Lebensritter: Sobald eine Person mehrmals in der Woche zur Dialyse muss, kommt sie in der Regel auch direkt auf die Warteliste für eine Spenderniere.]
Lebensritter: Der Anruf, dass ein Organ gefunden wurde?
Katharina Wieners: Ja, genau. Das war eine wilde Story! Zu dem Zeitpunkt ging unser Telefon nicht, irgendetwas war mit dem Festnetzanschluss. Meine Mutter hatte ihr Handy ausgeschaltet, mein Vater auch, ich ebenfalls. Um 1 Uhr nachts hat die Polizei bei uns geklingelt und uns die Nachricht übermittelt, dass für mich eine Niere da sei. Meine Mama kam zu mir ins Zimmer und sagte: „Aufstehen, Taxi kommt gleich!“ Ich war total aufgeregt, als es dann ins Krankenhaus ging. Es wurden erst mal Untersuchungen durchgeführt, ich wurde noch mal dialysiert und am 2. September 2015 wurde ich transplantiert. Die Operation verlief ohne Zwischenfälle. Leider gab es aber danach Komplikationen, man befürchtete, dass ich eine Autoimmunkrankheit oder eine Abstoßungsreaktion habe. Es wurde eine Nieren-Biopsie gemacht, es war aber alles in Ordnung. Es lag an den Immunsuppressiva, die habe ich nicht vertragen. Die Medikamente wurden geändert und seitdem habe ich – toi, toi, toi – keine Probleme gehabt.
Lebensritter: Was haben Sie gedacht, als Sie nach der Transplantation aufgewacht sind?
Katharina Wieners: Jetzt geht das Leben los! Das war das tollste Geschenk, das ich je hätte bekommen können. Mein Opa hat am 1. September Geburtstag und in der Nacht wurde ich kontaktiert. Jetzt feiern wir immer einen Tag vorher seinen Geburtstag und am nächsten Tag meinen Nierengeburtstag. Mein Opa sagt auch, dass es für ihn das schönste Geschenk war, quasi sein Geburtstagsgeschenk, dass ich eine Niere bekommen habe. Ich feiere meinen Nierengeburtstag aber nicht mit einer Party. Wir sprechen in der Familie darüber und ich nehme den Jahrestag zum Anlass, mir Gedanken zu machen und meine Dankbarkeit zu zeigen.
Lebensritter: Weiß man, warum Ihre Nieren versagt haben?
Katharina Wieners: Nein, da ist man sich nicht sicher. Meine Oma ist an Nierenversagen gestorben, aber es ist wohl nicht erblich. Mein jüngerer Bruder ist nach meiner Krankheit komplett durchgecheckt worden und bei ihm ist alles in Ordnung. Es könnte an einem Infekt gelegen haben.
Lebensritter: Wie oft mussten Sie nach der Transplantation zur Kontrolle?
Katharina Wieners: Am Anfang musste ich dreimal die Woche nach Essen, nach einem Monat zweimal die Woche, dann einmal, jetzt einmal im Jahr. Alle zwei Monate bin ich zusätzlich bei meiner Nephrologin hier in Bochum.
Lebensritter: Sind Sie im Alltag durch Ihre Transplantation eingeschränkt?
Katharina Wieners: Das neue Organ schränkt mich im Alltag nicht ein. Ich muss auf meine Ernährung achten und täglich 10 Tabletten nehmen – im Vergleich zu anderen ist das wenig. Ich kann mich glücklich schätzen, dass bei mir immer alles in Ordnung war und immer noch ist.
Lebensritter: Wie geht Ihr Umfeld mit Ihnen um? Werden Sie in Watte gepackt?
Katharina Wieners: Nein. Natürlich werde ich gefragt, wie es mir geht. Und wenn es mir aus irgendeinem Grund nicht gut geht, sind alle sehr aufmerksam. Aber ich habe von Anfang an gesagt, bereits als ich an der Dialyse war, dass ich nicht wie ein rohes Ei behandelt werden möchte. Ich war schon immer sehr selbstständig. Ich habe mich auch mit 13 Jahren selbstverantwortlich um meine Tabletten gekümmert, weil ich wissen wollte, was ich einnehmen muss. Das war mir sehr wichtig. Das haben meine Eltern auch akzeptiert.
Lebensritter: Hatten Sie Ängste?
Katharina Wieners: Am Anfang hatte ich Angst, dass es ewig dauern könnte, bis ich eine neue Niere bekomme. Dann hatte ich Angst vor einer Abstoßung. Ich habe in der Klinik ein Mädchen in meinem Alter kennengelernt, das ein Herz brauchte. Wir haben uns sehr gut verstanden und viel Zeit miteinander verbracht. Ich habe sie auch noch später im Krankenhaus besucht, zu Halloween habe ich sogar dort übernachtet. Als sie ein Herz transplantiert bekommen hat, habe ich mich riesig für sie gefreut. Wir hatten eine extrem starke Beziehung, weil wir ja auch viel miteinander durchgemacht haben. Sie ist 18 Jahre alt geworden – sie hatte immer Abstoßungen und ist dann leider verstorben. Das war für mich sehr, sehr schwierig. Ich kann erst jetzt, seit etwa einem Jahr, darüber reden, ohne in Tränen auszubrechen. Das war eine Verbindung, die man nie wieder im Leben findet. Und dann kam die Angst, dass – okay, Herz und Niere kann man jetzt nicht miteinander vergleichen – aber, dass meine Nieren abgestoßen werden und das schöne Leben, das ich geschenkt bekommen habe, wieder durch die Dialyse ersetzt werden muss.
Lebensritter: Nach Ihren Erlebnissen mit diesem Mädchen – wie gehen Sie mit Menschen um, die der Organspende kritisch gegenüberstehen oder sie sogar ablehnen?
Katharina Wieners: Jeder Mensch darf seine eigene Meinung haben. Wenn man mit der Organspende ein Problem hat, dann ist das so. Ich habe Verständnis für Menschen, die gegen eine Organspende sind – jeder Mensch hat schließlich vor irgendetwas Angst und man kann ja keinen zwingen. Allerdings bin ich noch nie mit einem Menschen in Kontakt gekommen, der sich gegen Organspende ausgesprochen hat. Ich persönlich habe einen Organspendeausweis und gehe in meinem Umfeld offen mit dem Thema um. Ich bin der Meinung, dass man nur durch einen Austausch Wissen weitergeben kann – und ich bin dankbar für jeden Austausch, den ich mit anderen habe. Ich habe das Thema Organspende auch bei mir im Betrieb angerissen. Dadurch entsteht jetzt eine Community, ein Netzwerk. In meinem Büro habe ich Organspendeausweise ausgelegt, so kommt man mit den anderen schnell ins Gespräch. Ich habe über Organspende im Unternehmen gepostet und megagutes Feedback erhalten. Ich bin dankbar, dass ich als Azubi mithelfen kann, so ein Projekt in die Hand zu nehmen. In der Berufsschule habe ich das Thema ebenfalls ins Rollen gebracht. Ich finde es wichtig, dass man informiert. Das ist eine Herzenssache von mir.
Lebensritter: Was sind Ihre Pläne, was ist Ihnen wichtig für die Zukunft?
Katharina Wieners: Mir ist wichtig, dass mir meine Niere erhalten bleibt. Und dass ich meine Ausbildung gut absolviere – ich verkürze jetzt nämlich und mache meine Prüfung Anfang des nächsten Jahres statt im Sommer. Nebenbei fange ich noch den Betriebswirt mit dem Ausbildereignungsschein an. Und ich hoffe natürlich, dass ich nach der Ausbildung von meinem Betrieb übernommen werde.
Lebensritter: Denken Sie manchmal an Ihren Spender bzw. Ihre Spenderin?
Katharina Wieners: Ich bin sehr dankbar, dass mein Spender / meine Spenderin sich dazu entschlossen hat, Organspender zu werden. Hätte er oder sie es nicht getan, hätte ich dieses tolle Geschenk nicht erhalten.
Lebensritter: Was liegt Ihnen am Herzen?
Katharina Wieners: Gespräche mit Betroffenen und auch den Familienangehörigen sollten öffentlicher gemacht werden. Zudem ist es sehr wichtig, dass sich die Leute mit Organspende auseinandersetzen.
Lebensritter: Was können Sie anderen Menschen mit auf den Weg geben, die gerade auf eine Organspende warten?
Katharina Wieners: Ihr müsst die Zeit durchstehen. Ihr seid nicht allein. Es ändert sich nach der Transplantation so viel – es lohnt sich, dafür zu kämpfen und am Leben zu bleiben.
Wer noch mehr über Katharina Wieners erfahren möchte, hat hier auf Instagram die Möglichkeit dazu.