Menschen

Eine neue Leber für Herrn Weber (2.0)

Dankbarkeit – das ist ein großes Thema für Peter Weber. Er möchte sich für vieles bedanken, besonders natürlich für seine neue Leber. Der Kommunikationspsychologe und Osteopath mit Praxis für ganzheitliche Medizin erhielt im Jahr 2021 eine neue Leber. Wie er die Transplantation erlebt hat und welche Veränderungen sich in seinem Leben ergeben haben, hat er uns in einem persönlichen Gespräch erzählt. Wir haben einen faszinierenden Nachmittag mit ernsten und lustigen Momenten in Freudenberg verbracht – unter lebhafter Beobachtung von Hund Siggi sowie den Hennen Rita Ovar, Lady D’Ei und Lady Ga-Ga.

Lebensritter: Herr Weber, warum brauchten Sie eine neue Leber?

 

Peter Weber: Ich hatte mir in jungen Jahren, so in den 1990er Jahren, eine Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus eingefangen, habe aber damals davon nichts gemerkt und weiß auch bis heute nicht, wo ich sie mir geholt habe. Die Infektion verlief von meinen Blutwerten und meinem Gesundheitszustand her aber unauffällig. Erst als man bei einer Routineuntersuchung eine Abweichung der Leberwerte feststellte, wurde die Infektion überhaupt entdeckt. 2018 heiratete ich nach 25 Jahren „wilder, glücklicher Ehe“ meine wunderbare Frau Melanie und wir planten eine Hochzeitsreise in die Navarra-Wüste in Spanien. Unmittelbar nach der Feier wurde bei mir aber Leberkrebs festgestellt.

Lebensritter: Hatten Sie Schmerzen? Haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt?

 

Peter Weber: Nein, gar nicht. Der Krebs wurde entdeckt im Rahmen der Nachsorge der Hepatitis C. Deshalb sind Vorsorgeuntersuchungen auch so wichtig, ich habe ja nichts gespürt, was darauf hingedeutet hätte, dass ich Krebs habe.

Lebensritter: Bedeutet Leberkrebs eigentlich automatisch Chemotherapie?

 

Peter Weber: Nein, bei mir wurde eine Teilresektion gemacht, der betroffene linke Leberlappen wurde weggeschnitten. Das hat gut geklappt und ist auch kein Problem, weil die Leber ein sehr regenerationsfähiges Organ ist und nachwächst. Zudem war es „nur“ ein zentimetergroßer Befund, also kein voluminöser Tumor, obwohl die Größe ja keine Rolle spielt, der Tumor kann sich ja weiterentwickeln und streuen. Trotz zirrhotischer Veränderung war meine Leberfunktion verblüffend gut [Anmerkung Lebensritter: Eine Leberzirrhose ist das Endstadium einer Leberschädigung. Oft hervorgerufen durch die virusbedingten Leberentzündungen Hepatitis B und C.].

Lebensritter: Wenn die Leberfunktion gut war, warum wurde denn eine Transplantation notwendig?

 

Peter Weber: Mein Professor sagte mir: „Herr Weber, der Krebs kann wiederkommen und wir möchten Sie gerne für eine Transplantation listen.“ Das haben wir hier im Familienrat besprochen und beschlossen, dass ich mich listen lasse. Eine Listung ist übrigens ein nicht zu unterschätzender Vorgang. Man wird von oben bis unten untersucht, ob irgendein Nebenbefund da ist, denn das ist dann eine Kontraindikation [Anmerkung Lebensritter: Darunter versteht man in der Medizin ein Kriterium (z. B. Krankheit), das eine Maßnahme (z. B. Transplantation) verbietet.].

„Mein Professor sagte mir: ‚Herr Weber, der Krebs kann wiederkommen und wir möchten Sie gerne für eine Transplantation listen.‘“

Lebensritter: Haben Sie lange auf ein Organ warten müssen?

 

Peter Weber: Im Endeffekt habe ich anderthalb Jahre gewartet. Ich saß vor einem Teller Pommes frites mit Currywurst. Das Telefon schellte und ein sehr netter Arzt sagte zu mir: „Herr Weber, wir haben eine Leber für Sie.“ Ich war überrascht – mein Koffer war zwar seit Monaten gepackt, aber ich hatte vermutet, ich werde einige Jahre Zeit haben. Na gut, dachte ich, dann gibt es heute eben Leber statt Currywurst.

Lebensritter: Und wie war die Operation?

 

Peter Weber: Die fand gar nicht statt! Ich bin nach Köln gefahren, ganz alleine, das war mir wichtig. Dann kamen die ganzen Untersuchungen und OP-Vorbereitungen. Ich habe sogar noch ein bisschen geschlafen. Morgens um 4 Uhr lag ich wach und habe auf den Hubschrauber gewartet, dachte: Wann kommt der Hubschrauber mit dem Organ? Schließlich kam aber die Ärztin und sagte: „Herr Weber, Sie kennen das Vorgehen, Organe werden europaweit verteilt und ich muss Ihnen mitteilen, dass das Organ in Hamburg bleibt und an zwei Kinder geht, eine sogenannte Split-Lebertransplantation.“ [Anmerkung Lebensritter: Hierbei wird die Leber in zwei Transplantate geteilt und dann auf zwei Empfänger übertragen.] Ich habe mich gefreut, weil ich sozusagen „von der Schippe gesprungen“ bin, aber vor allem, weil es zwei Kinder waren, denen geholfen werden konnte. Ich alter Mann bin nicht so wichtig. Morgens um 5 Uhr bin ich dann wieder nach Hause gefahren. Das war der erste Versuch …

„Morgens um 4 Uhr lag ich wach und habe auf den Hubschrauber gewartet, dachte: Wann kommt der Hubschrauber mit dem Organ?“

Lebensritter: Und beim zweiten Mal hat es dann geklappt?

 

Peter Weber: Zwei Wochen später, am 1. April 2021 wurde ich transplantiert. Es war der Tag vor Karfreitag. Es war Corona. Und es ist alles gutgegangen.

Lebensritter: Hatten Sie Angst?

 

Peter Weber: Eigentlich nicht, zumindest nicht am Tag der Transplantation. Ich hatte ja schon einen „Probelauf“ und in den zwei Wochen ist mir viel klar geworden. Davor hatte ich Angst vorm Loslassen, Angst, mein Leben in die Hand eines anderen zu geben. Ich habe dann Strategien entwickelt, um mit meiner Angst umzugehen.

Lebensritter: Welche?

 

Peter Weber: Angst hat ja auch eine Aufgabe – sie ist ein Zeichen dafür, dass etwas auf dich zukommt. Wenn ich meine Angst zulasse, kann ich auch Lösungsmöglichkeiten entwickeln, kann mir überlegen, wie ich mit einer Situation umgehen kann. Ich habe die Angst dann nicht mehr als bedrohlich empfunden.

Lebensritter: Wie waren die Tage nach der Transplantation?

 

Peter Weber: Nach der OP lag ich drei Tage auf der Intensivstation und wurde dann auf die normale Station verlegt. Ich bin vom ersten Moment an schmerzfrei gewesen. Bei einer Visite sagte der Stationsarzt zu mir, dass ich eine Heldenleistung vollbracht hätte. Ich war sehr verwundert, weil ich mich nie als Held gefühlt habe. Danach habe ich mich aber mit dem Thema „Held“ beschäftigt und ein ganz anderes Selbstwertgefühl entwickelt. Ich bin mit der Situation gereift.

Peter Weber schrieb eine persönliche Botschaft an seinen Spender/ seine Spenderin.

Lebensritter: Wie hat Ihre Frau das alles miterlebt?

 

Peter Weber: Zunächst einmal – ich habe eine unglaubliche Frau. Wir sind ein unheimlich gutes Team und reden viel miteinander. Ich habe sie an allem teilhaben lassen, also meinen Gedanken, Gefühlen und Ängsten. Sie hat mir immer geholfen und mich unterstützt. Aber für sie war es schwer, besonders wegen Corona.

Lebensritter: Wie gehen Sie heute mit dem Thema Organspende um?

 

Peter Weber: Ich setze mich für Organspende ein, auch wenn ich nur ein Staubkörnchen dazu tun kann. Ich will an die Schulen hier in der Umgebung gehen und als Betroffener Vorträge halten, also meine Geschichte erzählen. Ich engagiere mich bei der Leberhilfe. Ich möchte den Impuls geben, dass die Menschen sich mit dem Thema beschäftigen und Hemmschwellen abbauen. Deshalb habe ich auch ein Schild in mein Wartezimmer gehängt, das dazu auffordert, sich Organspendeausweise mitzunehmen. Darauf steht: Machen Sie bitte mit: 1000 Spenden, 1000 Hoffnungen.

Lebensritter: Welche Hemmschwellen gibt es Ihrer Meinung nach?

 

Peter Weber: Die Auseinandersetzung mit der Krankheit oder einer drohenden Krankheit, mit dem Tod. Diese Themen begegnen uns jeden Tag – wir brauchen ja nur den Fernseher anzumachen. Es gilt, einen besseren Umgang damit zu finden. Ich weiß, es ist üblicher, dass wir diese Themen wegschieben, um zu funktionieren, das sollen wir auch machen. Aber eine Beschäftigung damit ist ebenso notwendig. Leider passiert das immer erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, der Tod oder die Krankheit also schon da sind.

Seine Erlebnisse während der Erkrankung mit dem Lebertumor und die später folgende Lebertransplantation hat Peter Weber in einem Buch zusammengeschrieben.

Lebensritter: Woher kommen diese Hemmschwellen?

 

Peter Weber: Ich weiß aus meiner Arbeit, dass die Menschen sich erst um ihren Körper kümmern, wenn es gar nicht mehr anders geht. Da wird dann der Arzt zu Rate gezogen. Oder 10 Ärzte. Es gibt dann unter Umständen 10 Meinungen und die Betroffenen machen dann doch was anderes. Der wunderschöne Beruf des Arztes ist bei vielen Patienten leider in Misskredit geraten, sie nehmen Diagnosen wahr, halten sich aber nicht an Empfehlungen – ganz nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Ich habe eine Fachmedizin erlebt, für die ich wahnsinnig dankbar bin. Wir müssen Vertrauen haben in unsere Ärzteschaft. Es ist leider so, dass wir mittlerweile eine kranke Gesellschaft haben: schlaflose Menschen, gestresste Menschen. Die psychischen Probleme liegen auf der Hand – nicht nur bei den Erwachsenen, sondern auch bei den Kindern, gerade auch durch Corona. Wir haben keine Achtsamkeit mehr für unseren Körper und unser Dasein – da muss was passieren. Menschen sollten mehr darüber lernen, welche Verantwortung sie für ihren Körper und ihr soziales Miteinander haben – und zwar auf eine positive, nicht belehrende, sanfte Art und Weise. Jeder, der auch nur im Ansatz darüber nachdenkt, ein Organ zu spenden, hat zumindest im Kern den Glauben, dass es wichtig ist, das Leben weiterzutragen.

Lebensritter: Was haben Sie aus Ihren Erfahrungen mitnehmen können, wie hat sich Ihr Leben verändert?

 

Peter Weber: Der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom hat einmal gesagt: Unsere größten Niederlagen sind unsere größten Erfolge. Ich habe versucht aus den Niederlagen und dem, was das Leben mir an Negativem entgegengeworfen hat, etwas Positives zu machen. Mein Leben ist heute insgesamt reicher. Ich bin geduldiger geworden und arbeite weiter daran. Ich bin häufiger dankbar für die Kleinigkeiten im Leben. Ich höre mehr zu und vertrete ganz bewusst weniger Meinungen. Ich ernähre mich besser. Mein Genussverhalten hat sich deutlich intensiviert. Ich treibe mehr Sport, habe gerade das Rettungsschwimmabzeichen in Silber und das Sportabzeichen in Gold gemacht. Ich bemühe mich um mehr Achtsamkeit. Ich lebe mehr im Moment und atme noch bewusster.

„Ich habe versucht aus den Niederlagen und dem, was das Leben mir an Negativem entgegengeworfen hat, etwas Positives zu machen.“

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