Herzchirurg Professor Dr. med. Udo Boeken ist Bereichsleiter für Herztransplantation und Herzinsuffizienz in der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie des Uniklinikums Düsseldorf. Er hat in seinem vollen Terminkalender einen freien Platz für uns gefunden und uns Einblicke in Bereiche der Transplantation gewährt, die sonst nicht so im Fokus stehen. Und da er tagtäglich mit besonders schützenswerten Patientinnen und Patienten aus der Hochrisikogruppe zu tun hat, haben wir uns Corona-konform bei gutem Wetter draußen im „Garten“, im Außenbereich des Zentrums für Operative Medizin, getroffen.
Lebensritter: Ist eine Transplantation schwieriger als eine „normale“ Operation am Herzen, die schließlich auch Leben retten kann?
Professor Udo Boeken: Im Grunde genommen nicht. Chirurgisch betrachtet ist es sogar einfacher, ein Herz zu transplantieren, als manch andere Eingriffe. Es gibt nur vier bis fünf große Nähte – je nach OP-Technik. Eine diffizile Bypass-Operation mit Lupenbrille und haarfeinen Fäden zum Beispiel ist deutlich schwieriger. Was besonders oder anders ist, ist der leere Brustkorb. Wenn wir ein Herz einsetzen, wurde das kranke Organ ja schon entfernt und man schaut in diese leere Höhle. Das ist eine sehr besondere Situation – auch wenn man es schon öfter gemacht hat.
Wie gesagt, einnähen ist einfach. Die eigentliche OP ist nicht das Entscheidende, viel wichtiger ist das, was davor und danach geschieht. Allein die Vorbereitung ist extrem aufwendig. Früher, also so vor 20 Jahren, kamen die Patientinnen und Patienten mit ihrem Koffer von zuhause und wir haben operiert. Heute sind die Patienten in der Regel schon ein- bis dreimal voroperiert, sie haben zum Beispiel ein künstliches Herz. Dadurch entstehen Verwachsungen, die erst mal vorsichtig entfernt werden müssen. Das dauert natürlich seine Zeit – das können schon mal zwei Stunden sein. Deshalb ist die Koordination bei einer Transplantation auch so wichtig.
Lebensritter: Was genau meinen Sie mit Koordination?
Professor Udo Boeken: Wenn das Spenderherz im Krankenhaus ankommt, muss der Patient bzw. die Patientin so vorbereitet sein, dass wir das Organ sofort einsetzen können, das heißt, der Brustkorb muss leer sein, es dürfen also, wie oben erwähnt, keine Verwachsungen mehr vorhanden sein. Diese ganze Koordination ist enorm, da müssen alle Rädchen ineinandergreifen, jeder muss wissen, was der andere gerade macht und wo der andere ist. Wenn der Anruf kommt, dass ein Herz zur Verfügung steht, muss man ja erst mal in die betreffende Klinik fahren und es herausnehmen. Zeitgleich muss die Empfängerin oder der Empfänger in der anderen Klinik vorbereitet werden.
Das Transplantationsteam weiß immer alles – wer wann wo ist und was gerade getan wird. Und schon im Vorfeld sind die Transplantationsbeauftragten und das Team der DSO, der Deutschen Stiftung Organtransplantation, aktiv, sie kümmern sich um das ganze Drumherum wie beispielsweise die Logistik, also den boden- oder luftgebundenen Transport, aber auch um das ganze Equipment, das wir für eine Entnahme brauchen. Nur wenn alles perfekt aufeinander abgestimmt ist, kann so ein Eingriff erfolgen und auch erfolgreich sein. [Anmerkung Lebensritter: Die DSO koordiniert deutschlandweit die postmortale Organspende. Sie organisiert den Organspendeprozess ab der Meldung eines möglichen Spenders durch ein Krankenhaus bis zur Übergabe der Organe an die Transplantationszentren.]
„Die Verbindung zu meinen Patientinnen und Patienten ist eine fürs Leben.“
Lebensritter: Wie ist eigentlich die Situation bei einer Organentnahme – wie bei einer täglichen Operation? Denken Sie in diesem Moment an die Spenderin oder den Spender, an die Angehörigen oder an die Empfängerin bzw. den Empfänger? Oder blenden Sie diese Gedanken komplett aus?
Professor Udo Boeken: Bei der Entnahme der Organe herrscht eine sehr ruhige Stimmung im OP. Während des Eingriffs wird geschwiegen. Gespräche und Diskussionen finden nicht statt. Das ist auch eine ethische Frage – da liegt ein Mensch, der seine Organe spendet, damit andere überleben können. Das wissen wir zu würdigen. Wenn ich ein Herz entnehme, bin ich mit meinen Gedanken bei dem Eingriff, ich denke eigentlich nicht über den Spender oder seine Angehörigen nach. Ich konzentriere mich auf die Sache. Alles, was ich über den Menschen und sein Herz wissen muss, habe ich schon erfahren, ich habe ja die ganzen Unterlagen zum Fall gelesen.
Beim Einsetzen geht es etwas anders zu. Manche Operateure hören sogar Musik – keine Ballermann-Hits, sondern Melodien, die den Arzt entspannen, damit er seine Arbeit gut machen kann.
Lebensritter: Was ist für Sie das Schwierigste bei einer Herztransplantation?
Professor Udo Boeken: Besonders schwer sind Herztransplantationen bei Kindern, besonders bei Kleinkindern und Babys – wenn das Stofftier noch neben dem Kind liegt und wir das Herz entnehmen … das ist sehr hart. Aber die Entnahme bedeutet ja, dass ein anderes Kind leben kann, das muss man sich immer vor Augen führen. Diese Transplantationen machen wir hier in Düsseldorf nicht, da gibt es andere Kliniken, die sich darauf spezialisiert haben. Mein jüngster Patient war 14 Jahre alt.
Lebensritter: Ist eine Herztransplantation eigentlich etwas Besonderes? Ist das Herz ein außergewöhnliches Organ? Oder ist es egal, ob man eine Lunge, eine Niere oder eben ein Herz transplantiert?
Professor Udo Boeken: Das erste Mal, wenn man eine solche Operation durchführt, ist schon sehr packend. Später wird es zur Routine, wie alles im Leben, was man regelmäßig macht, aber seine Faszination verliert es nie. Das Herz hat immer etwas Mystisches – wenn eine Herztransplantation ansteht, habe ich viele Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende, die zuschauen wollen.
Lebensritter: Wie ist das Verhältnis zu Ihren Patientinnen und Patienten vor und nach der Transplantation?
Professor Udo Boeken: Der Kontakt zu meinen Patientinnen und Patienten ist sehr eng. In der Regel kennt man den Empfänger des Organs schon länger. Es gibt Menschen, die habe ich schon zehn Jahre vor der eigentlichen Transplantation betreut – fünf Jahre ohne Listenplatz, fünf Jahre gelistet. Es gibt allerdings auch jene, die kennt man erst zwei Tage. Ich hatte mal einen Fall, da wurde sehr schnell ein passendes Spenderherz gefunden, weil der Patient recht klein war. Und der Kontakt hört ja mit der Transplantation nicht auf. Die Menschen kommen regelmäßig zur Nachsorge – so gesehen haben wir eine Verbindung fürs Leben, im wahrsten Sinne des Wortes eine sehr herzliche Beziehung.
„Ein Nein ist genauso gut wie ein Ja, wichtig ist die Entscheidung.“
Lebensritter: Wie wichtig ist die Nachsorge?
Professor Udo Boeken: Die Nachsorge ist bei einer Herztransplantation entscheidend. Es gibt Leute, die kommen nicht zur Nachsorge, die gehen nicht gut mit dem Geschenk um, das sie erhalten haben – sie halten sich nicht an Ernährungsempfehlungen, verweigern Medikamente oder nehmen Tabletten mit Alkohol ein und heben damit die Wirkung auf. Da kann ich nur sagen: „Wenn ihr so weitermacht, habt ihr noch ein halbes Jahr.“ Die führen ihr altes Leben weiter, als wenn nichts gewesen wäre, so nach dem Motto: „Jetzt habe ich doch ein neues Herz, was soll’s.“ Das ist echt schade, vor allem, weil es so viele andere gibt, die auf ein Herz warten und verantwortungsvoller damit umgehen würden.
Nach der OP geht’s in die Reha. Wir haben hier an der Uniklinik einen fantastischen Sozialdienst, der sich um alles kümmert. Die Reha ist für Transplantierte sehr wichtig, weil sie dort alle Informationen erhalten, die sie für ihr Leben mit einem Spenderorgan brauchen. Und diese Informationen sind überlebenswichtig.
Lebensritter: Haben Sie nach einer Organentnahme eigentlich Kontakt zu den Angehörigen der Spenderinnen bzw. Spender?
Professor Udo Boeken: Nein, aber wir füllen regelmäßig Formulare aus, in denen abgefragt wird, wie es der Empfängerin oder dem Empfänger geht. Diese werden dann von der DSO an die Angehörigen der Verstorbenen weitergeleitet, damit sie sehen, was die Spende Gutes bewirkt hat.
Lebensritter: Sie engagieren sich ja noch über Ihren eigentlichen Beruf als Herzchirurg hinaus für das Thema Organspende. Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Professor Udo Boeken: Schulen haben die Wichtigkeit dieses Themas erkannt und kommen auf mich zu. Ich gehe dann in die Klassen, zum Beispiel in die Biologie-Leistungskurse, und informiere die Schülerinnen und Schüler. Das Interesse ist groß. Ich habe so viele Anfragen, dass ich leider nicht alle Termine wahrnehmen kann – sonst müsste ich meinen eigentlichen Job an den Nagel hängen.
Lebensritter: Was wollen die Schülerinnen und Schüler denn wissen?
Professor Udo Boeken: Die häufigsten Fragen sind: „Bin ich auch ganz sicher tot, wenn mir Organe entnommen werden?“, „Bis zu welchem Alter kann ich spenden?“, „Wie funktioniert eine Transplantation, ist das schwierig?“ Häufig wird auch die Frage gestellt, ob etwas „mittransplantiert“ wird, zum Beispiel Eigenschaften oder Ängste, sodass man nach der Transplantation auf einmal Höhenangst hat, obwohl einem das früher nichts ausgemacht hat. Das kann ich aus meiner heutigen Sicht aber mit Nein beantworten.
Lebensritter: Wie ließe sich erreichen, dass in Deutschland mehr Organe gespendet werden?
Professor Udo Boeken: Ich halte die Widerspruchslösung für die beste Lösung. Selbst der Großteil der Bevölkerung und auch die Jugendlichen sind für die Widerspruchslösung, das sehe ich immer wieder. Der Druck aus der Bevölkerung muss so groß werden, dass die Politik keine andere Möglichkeit mehr hat, als darauf zu reagieren. Wenn ich meine Organe nicht spenden möchte, kann ich ja immer noch Nein auf dem Organspendeausweis ankreuzen. Wichtig ist es, eine Entscheidung zu treffen.
„Zu meinen Patientinnen und Patienten führe ich eine sehr herzliche Beziehung.“
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